Dienstag, 31. August 2010

32 - direkte Wahrnehmung ?

Es ist nicht wahr, dass es für alles Worte gibt.Auch, dass man immer in Worten denkt ist nicht wahr. Bis heute denke ich vieles nicht in Worten, habe keine gefunden, nicht im Dorfdeutschen, nicht im Stadtdeutschen, nicht im Rumänischen, nicht im Ost- oder Westdeutschen. Und in keinem Buch. Die inneren Bereiche decken sich nicht mit der Sprache, sie zerren einen dorthin, wo sich Wörter nicht aufhalten können.
(...)
Wenn der Großteil am Leben nicht mehr stimmt, stürzen auch die Wörter ab
(...)
Dennoch der Wunsch: "Es sagen können"
(...)
Wenn ich erklären soll, warum für mich ein Buch rigoros ist und ein anderes flach, kann ich nur auf die Dichte der Stellen hinweisen (...) Stellen, die mir die Gedanken sofort dorthin ziehen, wo sich keine Worte aufhalten können.
(...) 
Das Kriterium der Qualität eines Textes ist für mich immer dieses eine gewesen: kommt es zum stummen Irrlauf im Kopf oder nicht.Jeder Satz mündet im Kopf dorthin, wo das, was er auslöst, anders mit sich spricht als in Worten.

Herta Müller "Der König verneigt sich und tötet" 

Donnerstag, 19. August 2010

31 -

"Sich öffnen, entspannen und loslassen"

15. August 2010, 21:43
Artikelbild: DIETER CHRISTOPH SINGER (49) ist Psychotherapeut, praktiziert seit seinem 20. Lebensjahr
Zen-Meditation. Er ist Zen-Lehrer in Wien und leitet Schweigewochen
unter anderem in Kroatien und im Lesachtal. 

 
  - Foto: privat

  • DIETER CHRISTOPH SINGER (49) ist Psychotherapeut, praktiziert seit seinem 20. Lebensjahr Zen-Meditation. Er ist Zen-Lehrer in Wien und leitet Schweigewochen unter anderem in Kroatien und im Lesachtal.

Einmal eine ganze Woche lang nichts reden und dabei trotzdem unter Menschen sein: Dieter Christoph Singer, Psychotherapeut und Zen-Lehrer im Interview

Standard: Wer entscheidet sich für eine Schweigewoche und warum?

Singer: Jeder Mensch hat Erfahrungen mit Stille, etwa in der Natur. Das sind oft sehr berührende Momente, und viele spüren die Kraft, die darin liegt. Doch Stille verflüchtigt sich schnell wieder. Die Menschen, die zum Schweigen zusammenkommen, bilden eine Gemeinschaft, die sie trägt. Allein kommt man viel leichter in Versuchung, sein Schweigen vorzeitig abzubrechen.

Standard:  Sind Lebenskrisen eine Motivation?

Singer: Kann sein, muss aber nicht. Es gibt in jedem Leben einen Punkt, an dem man sich fragt: War das jetzt eigentlich alles? Krisen geben da oft den Ausschlag. Oft ist die Motivation für eine Schweigewoche aber auch der Wunsch nach einer Einheit mit sich selbst und die Erfahrung, dass es etwas gibt, was über den eigenen Horizont hinausgeht. Stille ist eine Haltung, eine Achtsamkeit gegenüber sich selbst.

Standard:  Klingt religiös.

Singer: Schweigen hat in vielen Religionen Tradition, aber ist per se nichts Religiöses. Es geht darum, in eine Präsenz zu kommen, um Entspannung und Offenheit, die sich durch aufrechtes Sitzen und bewusstes Atmen einstellt.

Standard:  Bei Zen sitzt man viele Stunden. Ist das nicht auch rein körperlich schwierig?

Singer: Das aufrechte Sitzen, ohne sich dabei zu bewegen, hat sich über die Jahrtausende bewährt. Es öffnet, man sammelt sich, kann entspannen und loslassen. Eine gewisse Übung gehört natürlich dazu. Wer das lange Sitzen nicht schafft, kann auch liegen.

Standard:  Welche Rolle haben Sie in der Schweigewoche?

Singer: Ich begleite die Teilnehmer und mache Schweigen erfahrbar. Dafür gebe ich die Strukturen im Tagesablauf, orientiere mich an Zen-Traditionen. Sie schaffen einen äußeren Rahmen. Wer in die Stille geht, sollte stabil sein, um all die Gefühle, die entstehen, aushalten zu können. Stille kann ja auch Angst machen. Die Konfrontation mit sich selbst kann unerwartete Reaktionen hervorrufen. Wer will, kann aber täglich kurz mit mir sprechen.

Standard: Was ist das übergeordnete Ziel?

Singer:Das Herzstück des Schweigens ist, sich zu lösen von dem, was einen ständig beschäftigt und besetzt hält, und eine Welt wahrzunehmen, die im Alltag untergeht. In der Stille kann man sich selbst und die anderen sein lassen. Die Stille spricht von dem, was einen selbst in der Tiefe angeht, was einen berührt, wo man ganz man selbst ist. Das ist Lebensqualität. Paradox ist, dass, wenn das Denken zur Ruhe kommt, sich die Gedanken klären. Es gibt viele, die erzählen, dass sich nach einer Woche Schweigen Probleme lösen, viele haben aber einfach nur gute Ideen. Wenn Schweigen auf den ersten Blick auch als Einengung gesehen wird, so ist es eine Öffnung. Der Alltag erscheint in einem neuen Licht.

Standard: Wie oft sollte man schweigen?

Singer:Wer einmal erlebt hat, dass Stille ein Jungbrunnen für die Seele ist, will es nicht mehr missen. Idealerweise baut man eine halbe Stunde in den Alltag ein, legt alle drei Monate einen Schweigetag ein. Genaue Regeln gibt es nicht. Die meisten machen zweimal im Jahr eine Schweigewoche. 
(Karin Pollack, DER STANDARD, Printausgabe, 16.08.2010

Dienstag, 3. August 2010

30 -

Das prinzipiell Gute existiert nicht im Gegensatz zu irgend etwas Bösem in uns. Das Gute würde nicht erst dann in Erscheinung treten, wenn wir all unsere schlechten Gewohnheiten ausgerottet oder herausgefunden hätten, was unsere Eltern bei unserer Erziehung alles falsch gemacht haben, oder wenn wir schlank, schön und reich geworden wären oder unser Ideal einer vergeistigten Persönlichkeit verwirklicht hätten. Das prinzipiell Gute in uns ist nicht die "gute" Seite einer in Gut und Böse gespaltenen Welt.Wenn wir die Welt auf diese Weise einteilen - und sei es auch nur in Gedanken - stellen wir allen Dingen um uns herum automatisch Bedingungen und betrachten ein Ding als gut, wenn es diese Bedingungen erfüllt, und als schlecht, wenn es das nicht tut.

Doch das prinzipiell Gute ist un-bedingt , weil es nicht von irgendwelchen Begrenzungen, Beschränkungen oder Bedingungen abhängig ist. Es ist wie ein Felsen über den ein Fluss strömt. Der Felsen ist da, ob der Fluss warm oder kalt ist , ob er schnell oder langsam oder überhaupt nicht strömt

Jeremy Hayward "Heilige Welt" S.35